AHLEN. Das jüngste Erfolgserlebnis kam für Irene Janzen unerwartet. Eines der 107 Kinder, die am Offenen Ganztag der Barbaraschule (OGS) teilnehmen, war auf dem Schulhof bespuckt worden und hatte sich bitterlich darüber beschwert. Für Irene Janzen als OGS-Leiterin Anlass, dies am Nachmittag in der Abschlussrunde in der Aula offen anzusprechen: "Wer immer das war, der sollte sich melden." Zwar hatte die Schulleiterin ein Kind im Verdacht - nicht aber erwartet, dass es sich auch melden würde. Umso erfreuter war sie, als zwei Kinder den Finger hoben: "Wir waren das und haben Mist gebaut." Ein offenes Bekenntnis, vor versammelter Mannschaft. Und für das OGS-Team eine Bestätigung dafür, wie gut ein hier geübtes Schul-Modell wirkt: "Streiten geht auch fair - wenn man es so umsetzt wie wir."
"Fair-Streiten-Lernen" heißt das Projekt (siehe Stichwort), das der Offene Ganztag der Barbaraschule in Trägerschaft der Caritas seit rund acht Jahren in den Schulalltag überträgt. Und dies so erfolgreich, dass der übergeordnete Mediationsverband DACH (Deutschland, Austria, Schweiz) dies jetzt mit einer Auszeichnung bedachte: Für die beispielhafte Arbeit mit dem Konfliktlösungsprogramm wurde der Offene Ganztag mit dem "Winwinno 2018" in Gold geehrt - die höchste Variante des Preises, der jährlich an eine von vielen teilnehmenden Schulen verliehen wird und jetzt nach Ahlen geht.
Sieben Köpfe, die für ein vorbildlich umgesetztes Konzept stehen (von links): Rena Lohel (Schulsozialarbeiterin), Ludger Althoff (Abteilungsleiter), Sabine Hartmeier (kommissarische Schulleitung), Irene Janzen (OGS-Leiterin), Siglind Willms (Diplom-Psychologin und Mitentwicklerin des Programms), Andrea Greve (AG-Leiterin) und Noa Tschiedel
Ein Modell, das gut klingt - und gleichwohl harte Arbeit bedeutet, Tag für Tag. Das weiß auch Andrea Greve, die das Projekt als AG-Leiterin betreut. Fair streiten - geht das überhaupt? "Wir werden oft belächelt", sagt sie: "Aber es klappt." Dabei verweist sie auf ein Din-A-4-Blatt an der Wand Tisch, eine Art Leitfaden. Mit Stichworten wie "Störung anmelden" oder "Spiegeln". Aber was hat das mit dem bestimmt nicht immer friedlichen Schulalltag 2018 zu tun? "Eine Menge", betonen Irene Janzen und Andrea Greve. Und schildern ein Beispiel: Fritz (Name geändert) hat ein anderes Kind getreten. Das "Opfer" meldet sich und nennt auch den "Gegner" beim Namen. Am runden Tisch im Lehrerzimmer erzählen beide ihre Version dessen, was passiert ist. Auge in Auge und erst nach einem Moment des Abreagierens. Etwa: "Du hast mich getreten und mir weh getan" (Kind A). Diese Aussage muss Kind B aus seiner Sicht wiederholen, sprich "spiegeln": "Ich habe Dich getreten, und das war nicht fair." Es folgt ein Änderungsvorschlag, etwa von Kind A: "Ich möchte, dass Du mich nie mehr trittst." Stimmt Kind B zu, wird der Streit per Händedruck beendet. Kommen die zwei nicht allein klar, kommt ein Mitglied des Lehrerkollegiums als Schlichter dazu. Wichtig dabei: "Es zählt nur, was hier und jetzt passiert ist, kein Streit von gestern oder vorgestern."
Was für Außenstehende eher nach Wunschdenken klingt - hier funktioniert es, weil es konsequent umgesetzt wird. In einem gesonderten Bereich - der "Schul-Insel" - werden die Erstklässler langsam auf diesen besonderen Schulalltag vorbereitet. In Kleingruppen (maximal 10) lernen die Klassen 2 bis 4 dann, die Rituale zur Konfliktlösung zu leben. Dies gilt für den Unterricht, wenn der Sitznachbar stört, für die Pausen auf dem Schulhof und auch für die Betreuung der Hausaufgaben. Und dies reicht bis zur Abschlussrunde ab 15.45 Uhr in der Aula, in der alle Kinder den Tag reflektieren: "Was war mir wichtig? Was hat mir nicht gefallen und warum nicht?"
Sich offen aufeinander einzulassen - für Andrea Greve ein wichtiger Mosaikstein: "Die Kinder lernen, Kritik zu üben, aber auch, Kritik zu vertragen - eine gute Basis für später." Davon seien auch die Eltern überzeugt. "Inzwischen finden die Kinder es ganz selbstverständlich und lieben es", bestätigt Irene Janzen. Dies auch, weil Sechs- bis Elfjährige sehr auf Kontinuität angewiesen seien: "Wir schaffen einen Rahmen, in dem sie nie allein sind." Zwar gebe es bei 107 Kindern schon mal einen Störenfried: "Letztlich aber reihen sie sich gern wieder ein - in eine Gemeinschaft, in der Fairness mehr zählt als Zoff."
Stichwort:
Das Projekt "Fair-Streiten-Lernen" entstand im Jahr 2000 auf der Basis von 20 Jahren Konfliktarbeit mit Erwachsenen. Ideengeberin war eine Pax-Christi-Gruppe, die nach praktischen Möglichkeiten suchte, der Gewaltbereitschaft an Schulen schon im frühen Alter entgegen zu wirken. Die Barbaraschule, besonders aber der Offene Ganztag in Trägerschaft de Caritasverbandes in Ahlen gehören zum Kreis mehrerer Schulen in Nordrhein-Westfalen, die mit dem Programm arbeiten. Die Auszeichnung mit dem Winwinno 2018" belohnt die besonders intensive und erfolgreiche Umsetzung.